20. Juni 2014 - 29. Juni 2014
Horizonte ist ein fortlaufendes fotografisches Projekt und wurde bereits in mehreren Städten, wie Berlin, Detroit, Belgrad, Bratislava, Budapest, Lissabon und Zagreb umgesetzt.
„Ein guter Fotograf weiss, wo er stehen muss“, sagte einst Ansel Adams. Wenn wir Christine Hunolds Horizonte betrachten, ist es schwierig festzustellen, wo genau sie stand. Besonders, wenn man erfährt, dass ihre Bilder in keiner Weise digital nachbearbeitet wurden. Wir sind uns bewusst, dass wir etwas sehen das tatsächlich existiert. Etwas das wir selbst fotografieren könnten. Vorausge- setzt natürlich wir wissen, wo wir stehen müssen.
Trotz aller Forderungen nach Flexibilität und geistigem Anpassungsvermögen fällt es uns bekanntlich schwer, die Sicht zu korrigieren und einen anderen Standpunkt einzunehmen. Bereits eine kleine Veränderung der Perspektive löst eine archaische Furcht vor einer allzu tiefen Wandlung aus, von der wir glauben, sie nicht oder nicht unbeschadet überstehen zu können. Dem neugewonnenen Blick geht immer eine tiefgreifende Verunsicherung voraus.
„Es genügt eine kleine Verschiebung des Blickwinkels um Neues zu entdecken“, sagt Hunold. „Den Synapsen fehlen für einen Augen- blick die Kontakte, das Hirn dreht einmal eine Runde, dann werden wir durch Überraschendes belohnt.“
Hunolds Methode ist so einfach wie brillant: sie stellt die Kamera an die Hauswand und fotografiert nach oben, so dass sich Himmel und Architektur den Bildausschnitt teilen. Im Nu ist eine Landschaft entstanden welche dank perspektivisch fluchtender Fassade samt all ihrer hervorkragenden Bauteilen ebenso befremdlich wie prototypisch als Fläche mit Tiefenerstreckung und Horizont erscheint. Nicht plötzlich kippend, sondern vielmehr en passant Übergewicht erlangend vollzieht sich der Wechsel von einer Vorstellung zur anderen.
Wir erkennen einen mediterranen Horizont, hinter dem wir die Adria vermuten, den feinen Sand der baltischen See, das strahlende Weiß und Blau Griechenlands, Schnee und Eis im Süden, zerfurchte Äcker und zerkratzte Startrampen, Süd- oder Nordpol, Wüste, Lampen, Lichtkästen, Garagen, Container, antike Arenen mit und ohne Satellitenschüsseln, mittelalterliche Türme, Gewässer und ihre Brücken, Promenaden, Treppen, arabische Kuben und Flachdächer, Kirchen und orientalische Kuppeln.
Auf den Bildern Hunolds hört die Stadt auf, Abenteuerspielplatz zu sein. Vor uns liegen stille Plätze, von niemandem begangen. Wenn wir im ersten Moment meinen einen Menschen zu entdecken so fällt uns der Irrtum bald auf. In Wahrheit sehen wir Orte, an welchen noch nie jemand war, obwohl wir wissen, daß die Urbanität der Bildmotive dem widerspricht. Von der Horizontlinie scharf angeschnit- tene Wolken orten uns auf einer Hochebene, und wenn wir uns umsehen, so ist die Erde eine Scheibe, an ihren Rändern keineswegs üppig von Natur umgeben und vom Sturz in den Himmel oft nur durch eine niedrige Mauer getrennt.
Wir begreifen, daß wir in der Stadt und zugleich nirgendwo sind. Utopia, ein wundersamer Nicht-Ort, an den nur wenige gelangen und noch weniger zurückkehren, von ihm zu berichten. 1891 schrieb Oscar Wilde: eine Weltkarte, die Utopia nicht enthielte, wäre nicht wert, einen Blick darauf zu werfen.
Folgen wir dem Spiel von Hunolds Wahrnehmung, der Schönheit der Raumstationen da draußen, wo die Landeplätze im milden Abendlicht liegen, ist der Einstieg ins Paralleluniversum leicht.